TOY SYMPHONY

Allegro – Allegretto – Vivace

Für Marcel Mieth

Schloss, ganz aus Gußeisen, an einen Zauberer abzugeben. Eric Satie

Die eigentliche Kunst ist es schon immer gewesen, zu sehen. Und mit dem zu spielen, was man sieht, nicht dem, was man weiß: denn die Wahrnehmung täuscht uns allemal und gaukelt uns die Welt vor, wie sie uns halbwegs habhaft wäre. Was uns zwar dabei hilft, mit ihr über die Runden zu kommen, doch nur wer sich von seinen vorgefassten Bildern frei macht, hat Gelegenheit, das je Unerhörte, Ungesehene aufzunehmen, von dem man als Betrachter denken möchte: so ist es wirklich. Und tatsächlich war es ja in den Dingen immer schon vorhanden.

Marcel Mieth ist ein Virtuose jener gar nicht so bescheidenen Poesie, auch in den ganz einfachen Funden jene erhellende Qualität aufzuspüren, die den Horizont erweitert. Und entbirgt, was ganz profunde Erkenntnis sein mag. Ohnehin kann ja der Anlass aller Erleuchtung ebenso banal sein, wie grandios. Und was heißt schon grandios.

Das Agens dieser Arbeiten ist zweifellos ihr Hang zur Komik, den er mit den großen unterschätzten Humoristen unter den Künstlern des vergangenen Jahrhunderts teilt: Schwitters, Valentin, Beuys, auch Satie. Gelegentlich den Marx-Brothers. Komik aber, die ihrem Wesen nach anarchisch ist und keinesfalls schenkelklopfendes Vergnügen, sondern Hintersinn und Skeptizismus. Er tarnt sich arglos da und dort. Und doch sind der Scherz, die Pointe, der Twist viel fragilere Gebilde als das Drama. Und die Komödie das Unheil, das missglückt. Oder eben umgekehrt.

Anverwandlung doppelt den Gedanken, und sie reflektiert ihn: der Globus steht nicht nur kopfüber, er tauscht auch Kontinente und Gewässer und gerät so doppelt fremd; der schwingende Kronleuchter in Bodennähe ist so sehr Ausstattungsstück wie Poe’sches Pendel; die wohnzimmerliche Minigolfanlage macht die Wände zur Schikane; und der Katarakt über Treppe, Kopf und Stein wäre in einem Abbruchhaus als Happening genießbar, übertragen auf die häusliche Wohnsituation jedoch eher ein Schrecken. Und dennoch steht man fasziniert vor etwas, was sich als ganz unvermutete Begegnung mit Wasserfällen ergibt. Stets geht das alles ein auf den Ort und die Gelegenheit. Das Zelt an Wand und Decke. Vexierspiele all das.

Das Oeuvre nutzt alle denkbaren Genres und Disziplinen, und alle zugleich mit derselben Nonchalance und Selbstverständlichkeit, sei es das Environment, Zeichnung, Collage, Plastik, Photographie oder Objekt, wie die wunderbar bizarre Serie der Vogelhäuschen, die Doppelapartment, recycelbarer Pappkarton oder für den Hühnerhof ein Kunststoffbroiler sein mögen. Der Goldbarren ein Wurfgeschoss, die Zimmerpalme elektrisch, Brot wie Wäsche auf der Trockenleine, das gestapelte Geschirr ein Brunnen, Pech in Dosen.

Oder Aktion und Happening, wenn er mit völliger Ernsthaftigkeit den Affen im Zoo die Bilder erklärt: die Reaktion darauf gestaltete sich durchaus differenziert und individuell. Differenzierter übrigens als die der Zoobesucher. Aber das nur nebenbei. Und auch die Idee, die eigene Bibliothek, Umschlag für Umschlag zeichnerisch umzusetzen ist von solch eigensinniger Güte. Die Pommes Frites in die McDonaldstüte zu malen, und die Frankfurter Würstchen auf den Pappteller nicht weniger.

Dabei bleibt die grundsätzliche Ernsthaftigkeit merklich: wenn er als Stehlampe den Wohnungen ausgesuchter Zeitgenossen Leuchtkraft spendet, gewinnt das Verhältnis von Anwesenheit und Kommunikation eine ganz neue Facette. Und ein Babystrampler mit dem elaborierten Dessin born to die erweist sich weniger als makaber, denn als schlichte Beschreibung der Conditio Humane.Und die Beschreibung der Abgründigkeit der menschlichen Existenz als weise.

Dazu passt, wenn die Stechuhr Schlafenszeiten und Träume dokumentiert, statt der Arbeit, wenn er statistisch schon mal den wahrscheinlichen Eintritt des eigenen Todeszeitpunktes kalkuliert und mit einem Grabstein vorsorgt, oder die Lebenslinie als Schnitt in der Hand dokumentiert. Auch ist er imstande gewesen,den Blick für genau jenen Senf zu wahren, mit dessen Haltbarkeitsdatum auch die Welt zumindest nach jenem missverständlichen Maja-Kalender geendet haben sollte.

Die Welt ist nicht untergegangen, sie zierte sich einmal mehr. Absurd ist sie geblieben, absurd muss sie für jeden sein, der Individuum ist. Und das Lächeln war schon immer die beste Verteidigung gegen ihre Unsäglichkeiten.

Gerhard van der Grinten

2.II.2014